Apokalyptische Flaschenpost: der Campari Kalender 2012

Mit einer opulent inszenierten Fotografie widmet sich die 13. Ausgabe des Campari Kalenders nicht einfach nur der Ausstrahlung einer schönen Frau sondern dem Thema Weltuntergang.

Die Aussicht auf den Weltuntergang ist ein guter Grund, einen Drink zu nehmen, wie uns der Campari Kalender 2012 vor Augen führt. Das Konzept des inszenierten Weltenendes macht Milla Jovovich zur Melusine der Sintflut und den Kalender zur Flaschenpost mit Markenbotschaft.

Die Aussicht auf den Weltuntergang ist ein guter Grund, einen Drink zu nehmen, wie uns der Campari Kalender 2012 vor Augen führt. Das Konzept des inszenierten Weltenendes macht Milla Jovovich zur Melusine der Sintflut und den Kalender zur Flaschenpost mit Markenbotschaft.

Mit stupendem Blick sitzt der Junge dem Psychologen gegenüber, der ihn argwöhnisch betrachtet, bevor er die entscheidende Frage stellt. Was hat den Jungen mit dem roten Haar und der Brille so verstört? Mit unfreiwilliger Tiefsinnigkeit benennt dieser den auslösenden Gedanken für sein Trauma in aller kindlichen Offenheit: „Das Weltall expandiert!“
 
Der Junge heißt Virgil Starkwell und stammt aus Woody Allens Mockumentary „Take the money and run“ (Woody der Unglücksrabe). Mockumentary meint, es sieht aus wie eine Dokumentation, ist es aber nur scheinbar. Übertragen auf die Virgil Starkwell antreibende wie lähmende Erkenntnis vom expandierenden Weltall wandelt sich so vordergründige Komik in todernste Depression. Wie können alle so tun, als sei nichts passiert, wenn sicher ist, dass das Weltall stetig größer wird? Welche verschwindende Bedeutung hat das eigene Ich überhaupt noch angesichts des expandierenden Universums?

Aber es geht auch umgekehrt. Die Antwort auf die unvermeidliche Endlichkeit und absolute Irrelevanz aller Normalität kann eben auch befreiend ausfallen – therapeutisch wertvoll sozusagen. In diesem Fall lenkt sie das Augenmerk auf das Jetzt, den Moment und auf unsere Haltung gegenüber dem Unvermeidlichen. Das klingt barock und kann auch barock anmuten, wie der Ende Oktober in Mailand präsentierte Campari Kalender 2012 vorführt.

Morgen geht die Welt unter

Mit einer opulent inszenierten Fotografie widmet sich die 13. Ausgabe des Campari Kalenders nicht einfach nur der Ausstrahlung einer schönen Frau sondern dem Thema Weltuntergang. Mit etwas Hollywood im Zungenschlag folgen die zwölf Monatsmotive und eine teuflische Zugabe dem Motto: „It's the end of the world, Baby!“ Die Initialzündung dieser mutigen Idee, als Mustermarke eines Genussmittels auf die ebenso genussvolle Inszenierung des Weltuntergangs zu setzen, erinnert ein wenig an Virgil Starkwell. Bob Kunze-Concewitz, CEO der Gruppo Campari, sei auf einer Party gefragt worden, was er denn am 21. Dezember 2012 mache, da doch an diesem Tag nach dem Maya-Kalender die Welt untergehe. Die Antwort von Kunze-Concewitz fiel therapeutisch wertvoll aus und ist in ihrer künstlerischen Ausarbeitung nun als Campari Kalender 2012 zu besichtigen.
 
Der Kalender hat – um in der Hollywood Terminologie zu bleiben – drei Stars: zuallererst den Charme der Idee, dann in aller visuellen Präsenz Schauspielerin und Model Milla Jovovich und nicht zuletzt den französischen Fotografen Dimitri Daniloff. Daniloff ist der effektsichere Gestalter der wüsten Szenarien, die von Vulkanausbruch und Meteoriteneinschlag bis zu Eiszeit und globaler Dürre reichen. Ihm fällt die Aufgabe zu, die Sinnlichkeit des Untergangs einzufangen, dem todernsten Momentum die optimistische Wendung zu geben. Dabei greift er auf die Bilderwelten von Science Fiction und Katastrophenfilm, von Bibel und Gilgamesch-Epos zurück.

Leere als Botschaft

Zeitsprung in den Juni 2012: Das Kalenderblatt versetzt uns mitten in eine Sintflut. Die Welt ist eine Wasserwüste. Am diffusen Horizont sind die unwirklichen Reste einer Skyline zu erkennen. In den wirbelnden Fluten schwimmen Möbelreste und wie eine Mischung aus Venus und Sirene taucht Milla Jovovich aus den Fluten hervor. Sie ist das Überleben in diesem Bild. Ihre Verführung ist nicht nur eine amouröse samt laszivem Augenaufschlag, es ist eine Verführung zum Leben. Feinsinnig zeigt sich dies in einem weiteren Detail des Bildes. Neben Milla Jovovich, dieser ganz irdischen Melusine der Sintflut, fängt nämlich ein zweites Bildelement das Licht des Fotografen und das Auge des Betrachters ein.
 
Eine leere Campariflasche treibt vor der Heroin im Wasser. Leer meint hier ohne Campari – aber nicht frei von Botschaft. Es ist eine Flaschenpost, deren Nachricht wir nie lesen werden, über die wir aber den lieben Juni lang mutmaßen dürfen. Ist es eine Flaschenpost, die Milla Jovovich als letzte Überlebende an die Nachwelt richtet? Oder ist es das andere Ende derselben Geschichte und die Katastrophennixe sieht gerade den Beweis für andere Überlebende vor sich schwimmen? Ist Milla Jovovich Absender oder Adresse, Frage oder Antwort, Katastrophe oder deren Überwindung?

So ungewöhnlich es wirkt, dass der heimliche Held des Kalenders – eben die Marke Campari und nicht die apokalyptische Jovovich – sich leer und verbraucht zeigt, so konsequent ist es gedacht. Die Flasche muss erst ausgetrunken werden, bevor sie zum Nachrichtenmedium werden kann. Erst kommt der Campari, dann die Überlebensnotiz. Der sonst so mühevoll ins Bild gesetzte „red taste of magic“ ist deshalb obsolet – er wurde längst schon geschmeckt.

Doppelte Flaschenpost

Noch eine Flaschenpost hat Campari mit dem Kalender 2012 auf den Weg gebracht. Erstmalig in der kleinen, aber feinen Geschichte des Kalendariums aus Mailand räumte man einigen Bloggern ein, noch vor der aufwändigen Präsentation für die Presse mit Fotograf Daniloff und Model Jovovich zusammenzukommen. In der kleinen, fast behaglichen Runde wandelte sich die unbeeindruckbare Untergangsdiva des Kalenders zur wunderbaren Miss Jovovich. Ihr Image der toughen Action Schauspielerin nahm ein schmeichelndes helles Rot mit orangefarbenen Nuancen an, als sie den ganz femininen Campari Orange als ihr persönliches Lieblingsgetränk benannte. Soviel Professionalität muss sein.
 
Für Fotograf Dimitri Daniloff war der Talk mit den Bloggern die bessere Runde als die laute Glamour-Atmosphäre des offiziellen Pressetermins. Mehr Interesse an seinem Handwerk, mehr Raum für fundierte Fragen und ernste Antworten. Ihm sei das Spiel mit der Ästhetik des Grauens eine besondere Herausforderung gewesen, meint er. Wer den Kalender nun betrachtet, erkennt, dass die Aufgabe, weibliche Sinnlichkeit als Überlebensbotschaft zu inszenieren, bei ihm in den richtigen Händen war. Wer zudem die Idee – oder gar den Mut – der Macher anerkennt, ihre Glanzmarke Campari mitten in der Apokalypse zu zelebrieren, der hat letztlich auch die Botschaft aus der Flaschenpost entziffert. Für alle anderen gilt der Trost-Toast aus dem Campari Kalender: „We let ourselves be enchanted by life. Cheers.“
 

Eine leere Campariflasche treibt vor der Heroin im Wasser. Leer meint hier ohne Campari – aber nicht frei von Botschaft.
Gesprächsrunde mit Campari CEO Bob Kunze-Concewitz, Fotograf Dimitri Daniloff und Milla Jovovich.