Von der Bar in die Lobby

Es lebe die Hausbar

Eine neue Initiative will die Politklasse mit Cocktails missionieren. Was Hausbarbesitzer und überzeugte Barflies davon haben. Ein unfreiwilliges Interview mit mir selbst.

Der Name der Initiative klingt so, als könne man gar nicht nein sagen: Cocktail.Kultur.Gesellschaft. Für mich als Barfly, die auch im gut sortierten Zuhause genüsslich summt, bekommt der Name einen fast utopistischen Klang. Also recht verheißungsvoll das Entrée. Allerdings bedarf es gerade bei solchen Verlockungen einer gewissen Vorsicht, sagt die Erfahrung. Auch bei der Kommunikation gilt es, maß- und verantwortungsvoll zu genießen. Aber wer nicht fragt, bleibt dumm. Also frage ich bei der Initiative ganz offiziell wegen eines Interviews an und umschreibe knapp meinen Erwartungshorizont. Doch die Antwort offenbart: Einen Interviewpartner gibt es nicht, konkrete Antworten ebenso wenig, dafür aber Statements per Mail – die meinen Erwartungshorizont nicht recht befriedigen.

Denn eine Übersetzungshilfe tut schon Not, sobald von einem: … angestrebten, offenen, transparenten, zeitgemäßen und realistischen Dialog über die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung eines genussvollen, verantwortungsvollen Konsums, … die Rede ist. So zu finden auf der Website von Cocktail.Kultur.Gesellschaft.. Da will man einfach wissen, was das konkret meint. Schade also, dass die Initiative so vor dem Greifbaren scheut.
 

Wertschöpfungskette Barkultur

Leider wird auch nicht die Frage beantwortet, wie ich als privater Cocktail-Aficcionado an dem Elan der Initiative teilhaben kann.  Denn offensichtlich geht es Cocktail.Kultur.Gesellschaft. nicht um dich und mich, nicht um Barflies oder um die mehr oder weniger maßvoll trinkenden Elementarteilchen aus Kultur und Gesellschaft. Partizipieren sollen vorrangig alle „Stakeholder*innen“ der Branche, oder wie es Jan-Peter Wulf im Barconvent-Blog benennt, die Unternehmen der „Wertschöpfungskette“ Barkultur. Im Klartext: Hersteller, Importeure sowie die üblichen Verdächtigen in der Gastronomie.


An dieser Stelle schafft ein Statement der Initiative tatsächlich Klarheit: nämlich die Aufzählung der Gründungsmitglieder Bacardi, Beam Suntory, Brown-Forman, Campari, Diageo und Pernod Ricard sowie der Unterstützer Deutsche Barkeeper-Union, Galander Bars, Weingut Diehl, Grothe Spirituosen sowie Deutsche Spirituosen Manufaktur. Alles klar? Da landet der utopistische Tiger plötzlich als Lobby-Bettvorleger vor mir.
 

Vom Brand Ambassador zum Branchen-Botschafter

Tatsächlich ist es auch ein Parlamentarischer Cocktail-Abend, den die Initiative im Juni 2023 in Berlin abhält, der mich überhaupt auf Cocktail.Kultur.Gesellschaft. aufmerksam macht. Grundsätzlich scheue ich selbst die Lobbyismus-Nase nicht, die bei so einer Meldung unmittelbar aufsteigt. Wenn es eine Atom-Lobby, eine Auto-Lobby oder eine Pflanzenschutz-Lobby gibt, darf eine inoffizielle Interessenvertretung aller Cocktail-Fans, Spirituosen-Liebhaber und – im letzten Glied – aller Konsumenten alkoholhaltiger Getränke kein Tabu sein. Ist es aber in diesen staatlich so sozialfürsorglichen Zeiten. 

Deshalb tut die Initiative so verdruckst. Was mich ärgert, zumal ich mir in Zeiten der Cannabis-Legalisierung sogar den Mut zu einer anthropologischen Fragestellung erhofft hätte: Gibt es gar ein Recht auf Rausch? Das kollidierte in Teilen allerdings mit dem ausgegebenen verantwortungsvollen und genießenden Konsum. Im Interview hätte ich also mutmaßlich an dieser Stelle ein klares Nein gehört. Zugegeben, die Rausch-Grundsatzfrage mutet polemisch an. Doch wenn wir schon unser Geschlecht selbst bestimmen dürfen, wieso nicht unsere temporäre Wahrnehmung – mit oder ohne Alkohol? Ohne gleich Wertschöpfungsketten einzukalkulieren! 


Letzte Generation Cocktail: echte Pharisäer

Ehrlich, anscheinend müssen wir uns demnächst an der Bartheke festkleben, um auf unser so selbstverständliches Anliegen aufmerksam zu machen. Alternativ könnten alle Barbesucher mit ihren Trinkgeldern 10.000 Schuss Munition für die Ukraine finanzieren oder die nächste Negroni-Woche zahlt auf ein eigenes Windrad für die Energiewende ein. Zu abstrus? Zu unorganisiert? Na gut, dann laden wir halt ein paar Abgeordnete und Staatssekretäre ein.

 

 

Michael Stolzke/ Auf ein Glas