Naiv lieblich, eher unscheinbar, denn beeindruckend zieht die Landschaft in kurioser Gleichförmigkeit am Autofenster vorüber. Preußische Disziplin kommt einem beim Blick auf die optimal ausgerichteten Rebflächen in den Sinn. Alle stehen tadellos in Reih und Glied. Im Fluchtpunkt thront idealerweise ein Château mit einem für deutsche Zungen möglichst schwerfällig aussprechbaren Namen als Gralsort hoher Weinkultur. Wirklich?
In einem dieser Château, deren Real-Estate-Taxierung sich je nach Lage, Alter und Investitionsstau vom leicht runtergekommenen Landhaus bis zur herrschaftlich gerüsteten Großimmobilie erstreckt‚ lebte Michel de Montaigne (1533 – 1592). Das atmet freigeistige Befriedigung, selbst wenn der Stopp zur Besichtigung des legendären Turms ausfällt. Immerhin ist es Montaigne, der die Gattung des Essais erfindet, des schriftlich unternommenen Versuches, durch wiederholte Auseinandersetzung mit einem Thema, letztlich doch klarsichtig zu werden. Das klingt kleinmütig, stellt aber in diesen Fake-News-Zeiten ein außerordentliches Verdienst dar.
Versuch oder Versuchung: Bordeaux als Top-Destination
Bordeaux ist so ein Thema zum Versuchen und eine sensorische Versuchung dazu. Verstellt ist der Zugang jedoch von weltberühmten Namen, hochgezüchtetem Renommee und einer problematischen Preisfindung. Aber man kann Bordeaux eben auch als Kulturraum begreifen, in dem selbst zweimal säuberlich gefaltete Appellationen einen hohen, alltäglichen Gegenwert besitzen. Diese beiden Weinkulturen mischen sich fortwährend und prägen das Bordelais. Sie verschwimmen hier und grenzen sich dort rigoros ab: Premier Cru Classé vs. LEH-Supérieur. Von daher taugt Michel de Montaigne als Säulenheiliger eines Kurztrips nach Bordeaux und an die Gestade von Garonne, Dordogne und Gironde durchaus.
Aber was heißt „Versuch“ über diese eben doch so besondere Weinregion für einen durch und durch weinaffinen Menschen überhaupt? Muss das alles in Koketterie enden? Wo finden Respekt und sogar Demut vor den großen Buchstaben B O R D E A U X ihr legitimes Ende?
Die Antwort ergibt sich vagabundierend, so die Montaigne’sche Hoffnung. Deshalb geht es quer durch das gesamte Bordelais, von Medoc bis nach Saint Émilion, vom Szene-Restaurant bis ganz tief hinein in den Palast des berühmtesten Weinguts der Welt. Mit dem lässigen „Grave“ aus dem einfachen Café bis zur mehrere Hundert Euro kostenden Fassprobe verleibt sich dieser Versuch seine Impulse ein. Mit Verstand, mit Zunge und unkritischer Aufregung.