Des Pudels Korn: Warum deutscher Getreidebrand wieder hip ist
Regionalität und Heimat sind wichtige Zutaten der Spirituosen-Renaissance in deutschen Brenner-Landen. Einst geschüttelt durch langjährigen Niedergang, rührten auch noch die Whisky „Nerdisierung“ und der Gin-Boom die heimischen Hersteller ordentlich rum. Mittlerweile zeugen internationale und regionale Erfolgsgeschichten davon, wie hochprozentig vital das wach geküsste, deutsche Dornröschen ist. Noch so ein Signal: Die Made in GSA Competition, die sich bereits im fünften Jahr exklusiv den Spirituosen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zuwendet. Die GSA-Macher führen als Initialzündung des Wettbewerbsformats behände das Schlüsselerlebnis des amerikanischen Cocktail-Experten Martin Doudoroff an, der bei einem Besuch in einer bekannten deutschen Bar keine heimischen Spirits ins Glas bekam – es war einfache kein deutscher Brand im Regal.
Kornes-Hymnen: hip und edel
Angeregt durch solchen Branchengeist rufen aktuell die Propheten mit dem Korn die ganz, ganz deutsche Spirituose auf den Plan. Jüngste Kornes-Hymnen in „Stern“, „Spiegel“ und „Jetzt“, dem Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, sagen an, was angesagt ist: „Die Rückkehr der Brandstifter“, wie es der „Spiegel“ formuliert.
Und tatsächlich, neue und alte Kornbrenner erproben sich daran, ihrem Hochprozentigen den Biedermann auszutreiben und ihn wieder hip und Genusstrinker kompatibel zu machen. Traditionsunternehmen wie die Feinbrennerei Sasse ermutigte der Wachruf dazu, dem Korn wieder alle Finesse der Brennerkunst zukommen zu lassen und beispielsweise intensiver mit Fasslagerung zu arbeiten. Internationale Auszeichnungen – unter anderem in der Kategorie Whisky, weil ja auch Sasses Brand nur Getreide und Gerstenmalz verwendet – sind die Folge. Newcomer wie Nork oder Storch Manufaktur gehen die Korn-Mission mit großem Elan und Gestaltungswillen an. Sie arbeiten zudem mit Zutaten am Erfolg ihres Korns, die aus der Welt des Designs und des Marketing stammen und haben die neue Zielgruppe genau im Blick. „Unser Kunde lebt bewusst und mit Stil, reist gerne, ist offen und kommunikativ. Musik und Design im Allgemeinen spielen eine Rolle“, erläutert Carsten Richter, Gründer und Geschäftsführer der Storch Manufaktur aus dem niederrheinischen Brüggen.
Deutschstunde: geschützte Herkunftsbezeichnung
Korn darf sich nur nennen, was in einer deutschsprachigen Region aus vollem Getreide gebrannt wird. Die EU-geschützte Herkunftsbezeichnung bezieht sich nämlich nicht auf geographische Grenzen sondern den Status von Deutsch als Amtssprache. Dabei ging die Umgangssprache des Spirituosenverbrauchers nicht immer pfleglich mit dem Getreidebrand um.
Wenn vom „Kurzen“ oder „Klaren“ die Rede ist, erscheint dies erst sachlich angemessen, sobald ein Bierglas daneben steht. Womit bereits das „Herrengedeck“ aufgerufen ist, das allerdings nicht nur die Variante mit einem klaren, kurzen Korn kennt. Für ein „U-Boot“ versenke man ein kleines Schnapsglas mit Korn in dem größeren Bierglas, ein „Crossover-Herrengedeck“ sozusagen. Berüchtigt auch die „Chemiebombe“, für die Brausepulver mit Korn aufgegossen wird. Den traurigen Abschluss der Sprachprägung bildet dann der „gabiKo“, der ganz billige Korn.
Craftkorn-Kämpfer: mit romantischer Begeisterung
Heute klingt das oft anders, und der deutsche Korn gilt manchen als die bessere Alternative zum „totdestillierten“ Wodka. „Ein gelungener Korn schmeckt nicht neutral wie Wodka, sondern bringt saubere, fruchtige, auch nussige Aromen mit“, so der Fachautor für Brennereithemen Friedrich Springob. Er weist darauf hin, dass deshalb der Korn auch besser den Trend nach Regionalität bediene: „Gerade in West- und Norddeutschland kann man an örtliche Traditionen anknüpfen.“
Im guten Fachhandel erntet man mittlerweile kein Stirnrunzeln mehr, wenn man nach einem guten Korn fragt. Und das ist gut so. Letztlich entscheidet jedoch die Trinker-Community, ob der Korn sich als Spirituosengattung revitalisieren kann. Wenn denn die trinkende Gemeinde erst einmal an den Stoff kommt: nicht jeder macht den Weg in den Fachhandel, in den Online-Shops baut der Korn gerade erst seine Präsenz auf und im Lebensmittelhandel ist meist nur der Korn aus dem untersten Fach zu erwerben.
Allein deshalb können sich die praktizierenden Follower der Szene schon mal auf die übliche Medaillen-Botschafter-und-Bar-Influencer-samt-Cocktail-Rezepte-Runde einstellen. Dabei mag man die deutsche Romantik neu entdeckter „Craft-Begeisterung“ nicht unterschätzen: „Die meisten Craftkorn-Kämpfer aber sind ehrliche Begeisterte, die mit Herzblut dem verpönten Brand der Postgermanen wieder Güte, Würde und Aroma verleihen wollen“, lässt schon der „Spiegel“ anklingen.
Trinke Gutes und rede darüber
Vielleicht ist es die letzte Chance für den deutschen Getreidebrand, zurück ins Konzert der edlen Spirituosen zu gelangen. Und so romantisch schön das kernige Engagement der Neu-Brenner daherkommt, die Absatzprobleme der größeren Traditionsunternehmen sind dadurch noch nicht gelöst. Das Potential – sensorisch wie marketingtechnisch – ist dem Korn zweifelsohne zu eigen. Allein die Kauflust muss alsbald wieder geweckt werden, am besten in jenem Trinkfenster, das der aktuelle Trend nun aufgestoßen hat. Um so mehr gilt für alle, die dem Korn eine genussreiche Zukunft wünschen: Trinke gutes und rede darüber.
Michael Stolzke/Auf ein Glas
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