A sentimental Journey: Auf dem Holzweg durch Ribera del Duero
Wer das kleine Glück hat, ein rotes Weinherz zu besitzen, darf sich das große Glück nicht versagen, sein Glas an den Ufern des Duero siedeln zu lassen.
In der Luft liegt Sand aus der Sahara. Der Himmel gibt sich schlierig, die fahle Sonne im Dunst markiert einen Vollmond. Die Temperaturen sind frostig, die Landschaft noch nahezu kahl. Eigentlich stellt man sich den Ribera del Duero anders vor. Aus dem Flusstal des Duero östlich von Valladolid kommen klassische Tempranillos mit ordentlicher Körperfülle, da braucht es Kraft, Sonne – Sahara-Sand mit kalter Schulter passt weniger ins Bild. Vor 30 Jahren begegnete mir ein Wein, der mir ein initiierendes Trinkerlebnis verschaffte. Lange her, doch noch gut in Erinnerung. Es war ein Tinto Pesquera Crianza, eben aus der Denominación de Origin Ribera del Duero, die damals erst wenige Jahre bestand. Neun Winzer begannen im Gründungsjahr 1982, mittlerweile sind es knapp 300 Bodegas mit 22.000 Hektar Rebfläche.
Der namensgebende Fluss durchzieht auf über 100 Kilometern das Anbaugebiet, ist immer präsent, aber nicht immer zu sehen. Das von ihm geschaffene Tal öffnet sich mal weiter, mal weniger und links und rechts der Ufer des Duero – so könnte man Ribera del Duero übersetzen – gruppieren sich die Bodegas und ihre Weingärten. Aber wir sind in der kastillischen Hochebene und das bedeutet, dass bereits das Flusstal auf mindestens 600 Metern über dem Meer liegt. Manche Rebflächen im Osten des Ribera del Duero stehen auf einer Höhe von bis zu 1050 Metern. Doch die Fahrt durch die D.O. ist nicht nur geprägt durch den Fluss, ein Kennenlernen erschließt auch das Holz, genauer, das Holz der Barriques und großen Fässer aus französischer und amerikanischer Eiche, in denen der Wein ausgebaut wird.
Ein echter Spanier
Die Reife im Holz gehört zur DNA des Ribera del Duero wie der Tempranillo und der Fluss, die Böden und das Klima. Nicht zuletzt dient sie auch der Klassifizierung, die zwischen Weinen unterscheidet, die gar nicht (Joven), mindestens sechs Monate (Crianza), mindestens zwölf Monate (Reserva) oder gar 18 Monate (Gran Reserva) das Holzfass gesehen haben. Das muss ein Wein erst einmal verarbeiten, doch der Tempranillo ist vom Charakter ein echter Spanier, der hält das aus. Und wer einmal an den Ufern des Duero weilt, sollte es sich nicht entgehen lassen, diesem „Holzweg" nachzuschmecken. Wem allerdings das Vergnügen vor Ort die Bodegas zu besuchen, verwehrt bleibt, kann es mit diesen drei Weinen im heimischen Alleingang versuchen.
Der Kein-Holz-Tempranillo
Cillar de Silos
2014 Joven de Silos
Rebsorte: 100% Tempranillo
Alkohol: 14,0 % vol.
Der holzfreie „Joven" von Cillar de Silos erfreut den neufassgeschundenen Gaumen mit strahlender, unverfälschter Frucht. Diese Frische ist eine Wohltat, ja der Wein ist geradezu ein „palate cleanser". Auch wenn er mit wenig Struktur und Körper ausgestattet ist, erhält man die Möglichkeit, den wahren (Frucht-)Charakter der Rebsorte Tempranillo kennenzulernen.
Der Voll-Holz-Tempranillo
Bodegas Arzuaga
2013 Arzuaga Crianza
Rebsorte: 100% Tempranillo
Reife: 14 Monate in neuen Fässern aus französischer und amerikanischer Eiche
Alkohol: 14,2% vol.
Der 2013er Crianza von Bodegas Arzuaga lag 14 Monate größtenteils in neuer, amerikanischer Eiche und darf ohne despektierliche Absichten als Vollholz-Tempranillo bezeichnet werden. Er fasziniert zwar durch jede Menge Substanz und markerschütternde Tanninstruktur, doch ist er aromatisch derart neuholz-vanille-geimpft, dass es sich um jede Rotweinrebe der Welt handeln könnte. Die Zukunft wird zeigen, ob sich der Holzeindruck durch die Reife noch etwas zurücknimmt.
Das beste beider Welten
Dehesa de los Canónigos
Solideo Reserva, 2011
Rebsorten: Tinto Fino, Cabernet Sauvignon, Albillo.
Reife: 24 Monate in amerikanischer Eiche
Alkohol: 14,0% vol.
Der Canónigos „Solideo" aus 2011 lässt dann schließlich das beste beider Welten in wundervoll unaufgeregter Art und Weise zusammenfließen. Man spürt zwar, dass auch dieser Wein Zeit im Holz verbracht hat – und zwar mit 24 Monaten sogar mehr als der Azuaga – doch lässt die Verwendung von gebrauchtem Holz (und das höhere Alter!?) diese Note deutlich dezenter ausfallen. Mehr noch: Der Holzeinfluss tut dem Wein ausdrücklich gut, denn er steigert die aromatische Komplexität und liefert dem Wein eine gute Struktur und langlebige Tannine. Mit anderen Worten: Das Holz befindet sich in hervorragender Balance zu den weiteren Komponenten des Weines – insbesondere zu der Frucht. Es überdeckt sie nicht, sondern ergänzt sie.
Das rote Weinherz
Wir sitzen vor dem großen Kamin und halten noch die Gläser mit dem „Solideo" in der Hand: zu Gast in der Dehesa de los Canónigos in der Nähe von – so kommt es denn – Pesquera de Duero. Selbstverständlich kreist das Gespräch um die Weine, die Arbeit in den Weingärten und im Keller, aber auch um eine Familie, die sich in zweiter Generation um ihren Stil eines Ribera del Duero bemüht. Belén Sanz Cid ist die Önologin des Weinguts, Iván Sanz Cid der Kaufmann im Geschwister-Gespann. Beiden hat der Vater die Leidenschaft für den Wein vermacht, beide wurzeln tief im Glauben an ihren Wein, an die Dehesa de los Canónigos, die eben andere Weine macht als groß angelegte Projekte mit international agierenden Partnern.
Wie ein Untertitel knistert urtümlich das Kaminfeuer dazu. Die Persönlichkeit der Traube, drücke sich im Wein in seiner Frucht aus, erläutert Belén, das Holz habe nur die Aufgabe, dem Wein Struktur mitzugeben und ihn in seiner Komplexität zu fördern. Keinesfalls dürfe die Lagerung im Fass die Frucht überlagern. Sie spricht mit Hingabe von ihrem Wein und überspringender Überzeugungskraft, es lohnt sich, ihr zuzuhören. Auch der Wein hat seine Überzeugungskraft und ebnet mir den Holzweg zurück in dieses Restaurant in Málaga und den Tinto Pesquera, als mich aus dem Glas eine Erinnerung Jahrgang 1986 anlächelt. Jenseits der persönlichen sentimental journey in die Zeit als man noch „joven" war, sei der Trip an die Ufer des Duero daher jedem an das rote Weinherz gelegt.
(mer/ms)
Belén Sanz Cid, die Önologin des Weinguts, im Interview.
Mit herzlichem Dank an den Weinlakai.
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