Georgien ... on my mind
Für die Reise nach Georgien hatte ich auf lange Sicht eine angenehm aufregende Vorfreude kultiviert. Ein ganz neues Weinland für mich und eines der ältesten obendrein. Traditionelles Weinmachen in Tonamphoren, jede Menge Rebsorten, deren Namen und Aussprache zu merken, mir schwer fiel. Amber Wein, noch so ein Schlagwort, das mir in bunter Mischung mit Vorstellungen von Landschaften und Leuten den Trip vorausspekulierte.
Wein aus Georgien: auf das Wesentliche konzentrieren
In Köln steht der Flieger so lange auf der Piste – während und weil zeitgleich in Rheinhessen Hagelschauer manchen Rebflächen empfindlich zusetzen – bis der Anschluss nach Tiflis auf und davon ist. Bruchlandung in München. Eine Nacht im 0815-Zimmer, eine Scheinumbuchung und viel Rennerei am Flughafen später sitze ich mit 24 Stunden Verspätung endlich Flieger. Da denke ich schon mutwillig an den Trester und den Brandy aus Georgien, mit dem ich mich dringend vertraut machen muss.
Kurz vor der Landung teilt uns die unangenehme Dame vom Flugpersonal mit, dass unser Gepäck aus München nicht mitgekommen sei, wir uns aber mittels App oder morgen am Stand darum kümmern könnten. Glücklicherweise habe ich alles Arbeitsgerät im Handgepäck – mehr aber auch nicht. Vier Tage Georgien mit denselben Klamotten, da konzentriert man sich besser auf das Wesentliche. Auf den Wein.
Standortbestimmung: Tradition und Moderne
Etwa 4000 Kilometer sind es von Köln bis Tiflis, also nicht viel weiter als auf die Kanarischen Inseln und dennoch erscheint die Entfernung durch meine deutsche Brille größer. Georgien, Sankt Georg, Georgia on my mind. Rund 8000 Jahre Weinbau sind für Georgien in Form von Qvevris, den Tonamphoren, und darin gefundenen Traubenkernen dokumentiert. Da bekommt der Begriff Tradition einen ganz großen Bauch. Bislang sind etwa 525 autochthone Rebsorten in Georgien bekannt. Zu nennen sind bei den roten Reben vor allem Saperavi und Otskhanuri Sapere und bei den Weißen Rkatsiteli, Mtsvane, Kisi und Chinuri – alles klar? Mehr über Rebsorten mit für deutsche Zungen anspruchsvoller Aussprache finden sich auf der Website Weine aus Georgien.
Sich an Tradition nicht zu fesseln, sondern mit diesem Schatz und moderner Weinerzeugung den nächsten Schritt zu tun, das zeichnet Georgien aus. Die Dynamik und Begeisterung, mit der sich diese Entwicklung in den Weingütern vollzieht, ist ansteckend. Selbst wenn nicht immer klar ist, woher das Geld für die großen Investments stammt, die seit den 1990er Jahren den georgischen Weinbau umkrempeln. So geben temperaturregulierende Edelstahltanks in den Kellereien den Ton an: hochmodern die einen, andere mit dem Flair einer sowjetischen Sojus-Rakete. Der traditionelle Ausbau im Qvevri beseht fort, wird auch von den größeren, international auftretenden Erzeugern mal mehr, mal weniger praktiziert. Besonders hervorzuheben ist dabei das Weingut Vaziani. Doch nur drei bis fünf Prozent aller Weine entstehen noch in der traditionellen Qvevri-Methode.
Eigengewächse und Château auf Georgisch
Meine erste Station bei Teliani Valley kündigt gleich vielfach von diesem Aufbruch in Georgien. Das Weingut in Telavi bezieht den Önologennachwuchs mittlerweile von der Hochschule vor Ort. Bestes Beispiel ist die quirlige Kato, die mit präzisem Blick für das Weinmachen kommentiert, was im Glas gereicht wird. Darunter ein sehr gefälliger „Georgia White“, der es vielleicht an Finesse fehlen lässt, aber sich als trojanisches Pferd für die deutsche Weingemeinde absolut eignet. Bei Teliani Valley bekomme ich auch den ersten Chacha, sprich Tresterbrand, zu schmecken. Und einen der besten dieser Reise noch dazu: absolut weich und mit warmer Frucht schmeichelnd.
Georgische Weingeschichte ist immer auch politisch. Von vorchristlich und feudal bis sowjetisch. Von gestern bis heute, da das Land in eine prorussische und eine prowestlich Hälfte geteilt scheint. Ein weiterer roter Faden sind die technischen und methodischen Anleihen, vorwiegend aus Frankreich, die sich georgische Weingüter immer wieder genommen haben. Im 19. Jahrhundert ist beispielsweise die Einführung von Holzfässern für den Ausbau des Weines mit den Reisen adliger Weingutsbesitzer nach Westeuropa verbunden. Mitunter meint Anleihe auch die Übernahme internationaler Reben wie Cabernet Sauvignon oder Chardonnay, doch die bleiben deutlich in der Minderheit. Im Fall von Château Buera lässt sich ein Stück Frankreich sogar an der Architektur ablesen – obgleich das Gebäude nicht so alt ist, wie es scheinen möchte.
Meine Bestenliste: von ganzem Weinherzen
Die Weine von Château Buera sind durch die Reihe gut. Besonders angetan hat es mir der „Mtsvane Qvevri Reserve 2018“, ein Amber Wein traditionell in der Amphore ausgebaut und anschließend zwölf Monate in französischen Barriques sowie auf der Flasche gereift. Ein grandioser Essensbegleiter, der mit Anklängen von getrockneten Früchten, mit toller Struktur und Spannung geradezu nach Speisen bettelt. Gleichfalls ein Tipp der „Saperavi Reserve 2018“ von Buera. Klassisch 14 Monate im Holz gereift, weitere 18 Monate auf der Flasche. Voll und mit Zug im Mund, viel rote Beeren, aber auch Würz- und Röstnoten, Florales noch. Ein Wein mit meditativem Potential.
Die besten Weine auf meiner kleinen Rundreise durch die Region Kachetien habe ich beim Weingut Shumi und beim Weingut Khareba im Glas. Da stimmt die Qualität durchgehend und gleichzeitig spürt man, wie offen und feinfühlig die Weinmacher ihren Weg gehen. Der Eindruck entsteht, hier hat man sich noch einiges vorgenommen und das ist gut so. Gerade bei Khareba haben dies auch die Einstiegsweine gezeigt und die höherwertigen Rotweine wie der „Aladasturi 2020“ und vor allem der „Château Lipartiani 2014“ machen einfach nur Freude. Letzteren muss ich mal in eine Blindprobe einschleichen und die Rebsorten erraten lassen – Saperavi, Aladasturi und Otskhanuri Sapere – oder überhaupt das Herkunftsland. Mich erinnert das stark an Bordeaux.
Bis zum großen Kaukasus: Weinhorizont erweitern
Mein Schlüsselerlebnis zum georgischen Wein hatte ich auf der diesjährigen ProWein. In Düsseldorf bekam ich Weine zu verkosten, die bei mir Georgien auf Grün gestellt haben. Umso größer das Erlebnis, zumindest einen Teil des Weinlands Georgien erkunden zu können. Mitgebracht habe ich den festen Vorsatz, mehr georgischen Wein zu trinken und allen zu empfehlen, ihren Weinhorizont zu erweitern. Ausdrücklich beziehe ich das nicht nur auf Qvevri-Weine und Amber Wein, dafür habe ich in Georgien einfach zu anständig getrunken.
Übrigens, mit „Georgia on my mind” feierte Ray Charles 1960 seinen ersten Hit in der weißen Pop-Hitparade, nachdem er bereist mehrfach an der Spitze der Rhythm & Blues Charts gestanden hatte. „Georgia on my mind“ hat Ray Charles quasi aus der schwarzen Ecke rausgeholt und auf die große Bühne gestellt. Dahin gehören auch die Weine aus Georgien, die endlich ihr archaisches Exotendasein ablegen müssen. Das verstellt den Blick auf das Wesentliche.
Akuelle Beiträge
- Cortijo los Aguilares: Höhenluft schnuppern
- Georgien ... on my mind
- Von der Bar in die Lobby
- Weinliteratur: illustrierter Hin- und Verführer
- Elixier Noah: nach mir die Sintflut
- Brandy Erfahrungen der süßen Art
- GARGANTUA – der Podcast mit Hochkultur und Promille
- Marketgin de Cologne
- Geist, Essenz & Alkohol: mal mit, mal ohne
- Gin Kombinatorik daheim: Berlin auf dem Land
- Medoc, Montaigne & Mythos: Tage im Bordelais (Teil 2)
- Medoc, Montaigne & Mythos: Tage im Bordelais (Teil 1)
- Technologie statt Fasslagerung: Wenn Spirituosen schneller alt werden
- Noch ein Gin: Oder die Kunst, die Flasche aufzubekommen, um zu verkosten
- Aus Brennerkunst und Landschaft gemixt: Brand und Likör im Cocktail